Warum ich diesen Text schreibe…

… ist, weil ich Hilfe bei meiner Meinungsfindung brauche. Hilfe von außen, Hilfe von Ihnen. Heute um 10:24 Uhr war es nämlich so weit: Ich konnte mir nach nunmehr zwei Jahren viraler Informationsflut keine Meinung mehr bilden. Auslöser war eine Mail der Organisatorinnen der Übermittagsbetreuung in der Schule unserer Tochter. Tenor: Wegen hoher Krankheitsausfälle können wir eine geregelte Betreuung nicht mehr ermöglichen. Bitte tragen Sie ein, an welchen Tagen Sie Ihre Tochter früher selbst betreuen können. Ab jetzt bis zu den Osterferien. „Bis zu den Osterferien, das ist aber lang“ war mein erster, ganz spontaner Gedanke. Dann wollte ich mir eine Meinung dazu bilden – und das ging nicht. Hier kommen Sie, liebe Lesenden, ins Spiel. Aber Moment, ich fange vorne an

2020

war eigentlich ein gutes Jahr. Die Geburt unseres dritten Kindes fiel nahezu auf den ersten Lockdown-Tag. Das erste Kennenlernen zu Hause mit Papa und Geschwistern war daher ruhig und entspannt. Die Uhren tickten ein wenig langsamer, das passte gut zu unserer neuen Lebenssituation. Mein Mann arbeitete mal im Home- und mal im Office, alle drei Kinder waren bei mir in unserem neuen, alten Haus, das wir im November 2019 gekauft hatten. Ein neues Kind, ein neues Zimmer – ein Haus, um das neue Zimmer auch irgendwo unterbringen zu können. Wer findet schon eine Wohnung zur Miete mit ausreichend Platz für fünf Personen? Wir hatten uns also für das Lebensprojekt altes Eigentum entschieden.

Der Sommer kam und wir genossen unseren Garten, den wir vorher zu Mieterzeiten nicht hatten. Jegliche freie Stunde, die wir Eltern erübrigen konnten, steckten wir in die Kernsanierung des oberen Stockwerkes. Hier sollten einmal ein Badezimmer und vier Schlafräume entstehen für unsere Familie. So unser Plan, den wir kalkuliert und sehr akribisch durch gerechnet hatten. Ein, zwei Jahre den Gürtel enger schnallen, dann ist das alles zu realisieren – so auch die Einschätzung unserer Freunde und Familien, die uns auf unserem Weg unterstützten.

Erschöpft, aber auch zufrieden ließen mein Mann und ich im Dezember das Jahr 2020 Revue passieren. Die Zeit mit den Kindern so viel zu Hause in einer sich so schnell verändernden Welt war merkwürdig, surreal fast, aber bis dato auch in Ordnung.

2021

startete schlecht: Ich hatte mich mit Corona infiziert. Der damals noch zirkulierende Wildtyp machte mich ziemlich krank. Zum Glück konnte ich aber die Lungenentzündung und die weiteren Erkältungssymptome zu Hause selbst auskurieren. Fenster auf und Maske an. So hatte ich es geschafft, meine Familie nicht anzustecken. Ich war stolz.

Was nach der akuten Erkrankung blieb, waren Geschmacks- und Geruchsverlust, eine lang anhaltende Niedergeschlagenheit und ein immer wieder schmerzendes Daumengelenk in der linken Hand. Jetzt, etwa ein Jahr später, ist nur der Schmerz im Gelenk geblieben. Einige Lockdown-Wochen und Wintermonate noch, dann kam die Sonne heraus und mit ihr auch ein schönerer Alltag. Was habe ich Ostern mit den drei kleinen Großen im eigenen Garten genossen! Meine für mich erste Impfung folgte dann genau ein halbes Jahr nach meiner Erkrankung. Mich impfen zu lassen war immer klar, will ich doch unbedingt die Wahrscheinlichkeit verringern, nochmal so zu erkranken.

Ein nächster Schrecken kam dann im Spätsommer, als es hieß, ich könne nach meiner Elternzeit eben nicht wie geplant in meinen alten Job zurück kehren. Im Zuge der Pandemie musste meine damalige Chefin ihr Unternehmen personell halbieren und auch mir die Kündigung aussprechen. Sofort suchte ich nach einer neuen Anstellung in Teilzeit. Voller Elan und Tatendrang, endlich wieder Geld zu verdienen, machte ich Stepstone, Indeed, Monster und wie sie alle heißen unsicher. Der Gang zum Arbeitsamt blieb mir dennoch nicht erspart.Getrieben von dem Gedanken, mein Können als Redakteurin nicht ungenutzt zu lassen, fing ich an, meine Selbstständigkeit aufzubauen. Denn eine Teilzeitstelle als Redakteurin oder in einer vergleichbaren Position war auch nach vier Monaten intensiver Suche nicht zu finden. Der Grund: Wegen Corona stellen weniger Unternehmen ein. Teilzeitstellen sind noch rarer gesät. Selbst im Ballungsraum Köln/Bonn. Dem Arbeitsamt bin ich immer noch sehr dankbar, hat es doch meine Entscheidung, meine Selbstständigkeit aufzubauen, unterstützt.

2022

fing mit einem Gläschen Sekt in der Hand vorm Haus auf dem Bürgersteig an. Mein Mann und ich prosteten uns zu, auch die Nachbarn waren guten Mutes: So, jetzt ist 2022, jetzt wird es wieder besser. Es geht bergauf! Reine Zahlenmagie.

Heute…

.. ist der 10.2.2022, die Schul-Mail bezüglich des eingeschränkten Betreuungsangebotes lässt mich in einer undefinierbaren Stimmung zurück. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Habe ich Verständnis für den Ausfall, da die Mitarbeitenden nun einmal auch am Ende ihrer Kräfte sind, körperlich und mental? Bin ich wütend, da ich in den vergangenen sechs Wochen nicht eine Woche am Stück alle Kinder in der Betreuung hatte und nun schon wieder neue Lücken drohen? Ist es mir eigentlich egal, weil ich meine Kinder sehr liebe und sie gerne um mich herum habe? Bin ich einfach eine privilegierte Frau, die in Selbstmitleid zergeht und ihren Realitätssinn verliert? Sollte ich mich für meine Gedanken schämen? Habe ich einfach nur Angst, weil ich immer noch nicht in Lohn und Brot stehe und es uns so langsam aber sicher nicht mehr möglich ist, den Gürtel noch enger zu schnallen? Ich bräuchte einmal Zeit, um am Schreibtisch mit diesem Laptop hier zu arbeiten, zu schreiben. So, wie ich es jetzt gerade tue. Immer unsere Mittlere im Blick, die auf dem Sofa hüpft, infolgedessen ich eine Kopfverletzung befürchte wie auch unsere Jüngste, die mit ihren mittlerweile fast zwei Jahren großen Gefallen daran findet, die Küche vollständig auszuräumen. (Erinnerung an mich selbst: Türschlösser kaufen)

Gestern…

… habe ich auch noch gedacht, dass es uns als fünfköpfiger Familie in unserem alten, arbeitsintensiven Haus fein geht. Das Gehalt meines Mannes ist gut, es bringt uns durch unseren Alltag. Urlaub, Badezimmereinbau oder ein neuer Laptop für meine Arbeit sind zwar im Moment nicht drin. Aber die Kinder sind ordentlich gekleidet, genießen ihren erfüllten Alltag mit Mini-Kita, Kindergarten und Schule mit Betreuung und Sportverein, essen gesund und lecker und bringen ihren Freunden immer schöne Geschenke zu den kleinen, Corona-gerechten Geburtstagsfeiern mit. Was bleibt es dann an mir, mich zu beschweren? Nur, weil die Renovierung stagniert? Weil wir finanziell auch mal bessere Zeiten hatten? Ich verwöhnte Heulsuse.

Trotzdem denke ich heute, dass ich die Betreuung unserer Größten nicht mehr bezahlen will, wenn sie bis zu den Osterferien nicht geregelt stattfinden kann. Geld sparen, Vertrag brechen. Bin ich da nicht unfair? Ich weiß es nicht.

Nun also Omikron

Ich weiß aber, woher meine Aufgewühltheit kommt: Die anfängliche Krankheit, die mich mit gesundheitlichen Sorgen überschüttet hatte, ist heute zum universellen Ärgernis geworden. Denn in den letzten sechs Wochen ist unsere Lebenssituation beschwerlicher geworden und nicht nur die unsere. Von wegen 2022 wird es besser! Zu früh gefreut. Unser jüngstes Kind hatte letztlich Omikron, konnte nicht in die Mini-Kita. Ihr ging es mit der Erkrankung soweit gut, viel besser als mir damals vor einem Jahr. Danach wurde die Kindergartengruppe unserer mittleren Tochter geschlossen wegen positiver Fälle – wieder ein Kind hier bei mir zu Hause. Unser ältestes Kind bangt jeden zweiten Schultag mit uns Eltern vorm PC, wie die neuerlichen Pooltests wohl ausgefallen sind. Unsere Morgen fangen mit Schnelltests und Mail-Checken an, unsere Abende hören mit Lesen der neuen Corona-Verordnungen auf. Man will ja nichts falsch machen.

Ich mag mein Handy nicht mehr. Dauernd nur negative Nachrichten über positive Fälle. Absagen, Ausfälle, Verschiebungen. Mittlerweile haben wir fünf Quarantänen hinter uns und ich glaube nicht, dass die fünfte die letzte gewesen sein wird. Mittlerweile kenne ich mehr Leute, die Omikron hatten, als solche, die sich sicher sind, es nicht gehabt zu haben. Mittlerweile höre ich weinende Kinder durchs Telefon, weil die Geburtstagsfeier wiederholt verschoben werden muss, weil der Vater einen positiven Schnelltest hatte.

Ich bin wütend, müde, unentschlossen, geboostert, körperlich genesen, mental aber nicht, traurig, energetisch, jung, erschöpft. Soll ich einfach weiterhin alles zahlen? Ein Betreuungsverhältnis, das nicht funktioniert? Soll ich einfach immer weiter testen, brav sein, kein Risiko eingehen? Meine Entschlossenheit kann ich nur darin finden, endlich wieder Entscheidungen treffen zu wollen.

Update vom 30.03.2022

Quarantäne Nummer sechs liegt hinter uns, aber das ist eigentlich auch schon egal. Was ist von Corona geblieben? Ein fader Beigeschmack vom ungenießbaren Hauptgang. Der Ukraine-Krieg hat die Corona-Krise ins Abseits katapultiert. Die Inzidenzen sind hoch, viele meiner Freunde sind infiziert, einige davon klagen über lang anhaltenden Husten und eine allgemeine Mattheit. Die Gesundheitskrise ist real und doch reagieren wir nicht auf sie, als wäre sie real. Denn verstörender ist der Krieg, der uns so erschüttert. Weil er uns klar aufzeigt, dass unsere Gesellschaft, die wir alle ausmachen, doch nicht so geil ist, wie wir immer dachten. Sie ist sogar so ungeil, dass sie einen Krieg produziert und in der Folge durchlaufen lässt. Das nimmt uns alle mit, direkt und indirekt. Das können wir nicht verarbeiten, keiner von uns. Was macht dann schon das bisschen Corona? Wenn es doch so einfach wäre.

Ich kann uns allen aber keinen Vorwurf machen, dass wir das Leid selektieren und klassifizieren. Kategorien, auch wenn sie unbewusst bleiben, helfen uns, zu denken: Der Krieg ist schlimmer als Corona, die Inflation ist schlimmer als der Wohnungsmangel, die hohen Energiepreise sind schlimmer als das zu trockene Wetter. Das sind alles Einschätzungen, die viel zu kurz gedacht sind, aber ungemein helfen, die Gedanken zu ordnen. Wir einzelnen, denken Personen können unseren Geist so über Wasser halten. Um die Kontrolle zumindest in unserer eigenen, kleinen Welt wiederzuerlangen. Diese Kontrolle tut uns gut. Der Zweck heiligt die Mittel.

Ist es sehr schlimm, wenn ich schreibe:

Wir schaffen das? (Angela Merkel)

Ist es sehr schlimm, dass ich an dieser Stelle Frau Merkel zitiere und es wirklich so meine? Wir schaffen das – auch mit unseren ungeordneten Gedanken, mit unserem kleinen Geist? Ich bin mir aber sicher, dass wir es schaffen, alles davon: Corona, Krieg, Klima, Finanzen. Und zwar, weil wir diese Krisen als Gesellschaft selbst kreiert haben, also können wir sie auch wieder auflösen. Wir müssen es nur wollen!

So sehe ich das, zumindest heute, wenn ich diesen Text hochlade. Und wie sehen Sie heute auf unsere Welt herunter? Was schreibt Ihre Geschichte? Welche Gefühle haben Sie die letzten zwei Jahre in sich getragen? Ich würde mich sehr über einen Meinungsaustausch mit Ihnen freuen, über ein Schreibgespräch, eine bereichernde Kommunikation.

Positiv

Bin ich positiv,
dann ist das negativ.
Wo hab ich es nur her? 
Hab ich es weiter gegeben?

Bin ich negativ,
dann ist das positiv.
Dabei bin ich ja negativ,
weil ich nicht positiv sein darf.

Negativ sein heißt negativ sein.
Ich will positiv negativ sein.
Denn bleibe ich weiter negativ, werde ich negativ.

Positiv sein heißt positiv gewesen sein.
Ich will nicht positiv sein, aber ich muss positiv bleiben.
Denn bleibe ich weiter positiv, werde ich positiv sein.